Seit 2014 haben mehr als 2 Millionen Flüchtende Europa über das Mittelmeer erreicht.
„Meine Familie ist ertrunken.“
Mehr als 20.000 Menschen sind zwischen 2014 und2020 beim Versuch, das Mittelmeer nach Europa zuüberqueren, gestorben oder verschwunden.
SEENOTRETTUNG:
HUMANITÄRE PFLICHT ODER
BEIHILFE ZUR IRREGULÄREN
IMMIGRATION?
„Die Seenotrettung ist eigentlich eine staatliche Aufgabe. Es ist überhaupt nicht der Sinn der Sache, dass das die Zivilgesellschaft macht. Wir machen das wirklich nur, weil das sonst keiner tut. Wir haben keine Flüchtlingskrise. Wir haben eine Krise der Solidarität.“
Carola Rackete, 2019
Kapitän der Sea-Watch 3, fuhr 2019 trotz eines Verbots mit Flüchtenden an Bord in den Hafen von Lampedusa ein und wurde deshalb für drei Tage wegen Widerstand gegen die italienische Küstenwache festgenommen. Am 19. Mai 2021 wurde das Verfahren eingestellt.

ZAHLEN UND FAKTEN
Nach dem Höchststand 2015 von über einer Million Menschen ist die Zahl stetig gesunken (vgl. 2020 mit 95.031 Geflüchteten).
Dabei sind nach Schätzungen des UNHCR insgesamt bereits mehr als 20.000 Menschen ums Leben gekommen oder gelten als vermisst.
PRIVATE SEENOTRETTUNG:
SCHUTZVAKUUM
ODER PULL-FAKTOR?
Befürwortende der privaten Seenotrettung sehen im Rückgang der staatlichen Seenotrettung (nach 2015) ein Schutzvakuum im Mittelmeer, das zu mehr Toten führt.
Der Pull-Faktor beschreibt hingegen die These, dass durch mehr Rettungsschiffe mehr Menschen dazu motiviert werden, die gefährliche Reise anzutreten, und die Anzahl der Toten erneut ansteigt.
Die bisherige Datenlage lässt auf keinen Pull-Faktor schließen, jedoch auf eine erhöhte Gefahr für Flüchtende nach der Beendigung staatlicher Rettungsprogramme.
RECHTLICHE GRUNDLAGE
Das internationale Übereinkommen zur Seenotrettung (SAR) und das Internationale Übereinkommen zum Schutz des Lebens auf See (SOLAS) sind Grundlage des internationalen Seerechts.
Jedes Schiff muss im Rahmen seiner Möglichkeiten Menschen in Seenot helfen.
Gerettete sollen in angemessener Zeit zu einem sicheren Hafen gebracht werden.
Menschen dürfen nicht in ein Land gebracht werden, in dem ihnen Gewalt oder Verfolgung drohen – z.B. Libyen (Refoulement-Verbot).
KOSTEN EINER FLUCHT
Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) belaufen sich die Kosten für die Flucht aus dem Herkunftsland nach Deutschland im Durchschnitt auf 7.000 €.
Den Hauptanteil der Kosten machen dabei Verkehrsmittel aus – rund 4.000 €. Für Fluchthelfer und Schleuser müssen Flüchtende im Schnitt 3.100 € zahlen. Weiterhin schlägt die Unterbringung auf der Flucht mit durchschnittlich 460 € zu Buche.
Die Flucht- und Migrationsbewegung hat sich in den Herkunfts- und Transitländern zu einer regelrechten Industrie entwickelt, von der unterschiedliche Akteure zu profitieren versuchen.
FLUCHT-UND
MIGRATIONSROUten
UND DEREN
VERÄNDERUNG
VON 2015 BIS 2020
Für Flüchtende gibt es drei Möglichkeiten, um Europa zu erreichen: auf dem Luft-, Land- und / oder Seeweg. Im Verlauf der Flucht- und Migrations-bewegungen haben sich mehrere (Haupt-)Routen herausgebildet. Flucht- und Migrationsrouten sind hierbei keine festen Gebilde, sondern passen sich den jeweiligen Gegebenheiten an und sind dementsprechend flexibel.
AUF DEM LUFTWEG
Die reguläre Nutzung von Flugzeugen, um in die EU zu gelangen, ist für viele Fliehende und Migrierende nahezu ausgeschlossen.
Ein humanitäres EU-Visum in Form der Beantragung eines Visums in einer Botschaft oder einer anderen Auslandsvertretung außerhalb Europas könnte menschliches Leiden verringern: Jedoch urteilte der Europäische Gerichtshof, dass EU-Staaten nicht zu dieser Maßnahme verpflichtet sind.
AUF DEM LAND-
UND SEEWEG
Da ein Visum schwierig zu bekommen ist, benutzen die Fliehenden und Migrierenden den Land- und Seeweg, um nach Europa zu gelangen. Die Flucht- und Migrationsrouten über Land und Meer sind entsprechend ihrem Verlauf unterschiedlich klassifiziert und benannt.
BEKANNTE ROUTEN
DER LETZTEN JAHRE
AUF DEM WEG NACH EUROPA
Westafrikanische Route: auf dem Seeweg von Mauretanien, Westsahara oder Marokko auf die Kanarischen Inseln
Westliche Mittelmeerroute: auf dem Seeweg von Marokko oder Algerien nach Spanien
Zentrale Mittelmeerroute: auf dem Seeweg von Tunesien oder Libyen nach Italien oder Malta
Östliche Mittelmeerroute: auf dem See- oder Landweg über die Türkei nach Griechenland und/oder Albanien und/oder Bulgarien
Auf dem Landweg über die einzigen Festlandgrenzen zwischen Afrika und Europa: von Marokko in die spanischen Besitzungen Ceuta und Melilla
Adriaroute: auf dem Seeweg vom Balkan nach Italien
Polarroute: auf dem Landweg von Russland nach Finnland und Norwegen
Zentrale Osteuroparoute: über die Ukraine, Rumänien, die Slowakei, Ungarn oder Polen
bewegung
Im Jahr 2020 waren laut dem UNHCR, dem hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, 82,4 Mio. Menschen auf der Flucht – ca. 48 Mio. davon innerhalb ihres Heimatlandes.
Seit 2015, dem Rekordjahr in Sachen Migration, als mehr als eine Million Flüchtende über das Mittelmeer nach Europa kam, hat sich viel verändert. Immer weniger Menschen versuchen, über irreguläre Wege nach Europa zu kommen. Die Zahl der Asylanträge in Europa ist 2020 im Vergleich zu 2015 um 64% gesunken.

Die andauernden Konflikte und die instabile Situation in Syrien, Irak und Afghanistan lösen eine starke Fluchtbewegung über die östliche Mittelmeerroute aus.
Analog dazu hält die Zahl der Flüchtenden aus afrikanischen Staaten weiter an – vor allem aus den Ländern des „Arabischen Frühlings“.

Im Herbst 2016 tritt die EU–Türkei-Erklärung in Kraft.
Die östliche Mittelmeerroute und westliche Balkanroute werden fortan versperrt.
Zeitgleich ist die zentrale Mittelmeerroute die Hauptroute für Fliehende und Migrierende aus afrikanischen Staaten.

Nach Angaben des Europäischen Rates ist die Zahl der Migrierenden über die östliche Mittelmeerroute im Vergleich zu 2016 um 77% zurückgegangen.
Das Abkommen zwischen der EU und der Türkei spielte eine Rolle bei der Senkung der irregulären Einreisen.

Die zentrale Mittelmeerroute war in den vergangenen Jahren die meistgenutzte Flucht- und Migrationsroute in die EU.
Es kommt zu einem deutlichen Rückgang der Flüchtlingszahlen auf einer Vielzahl von Routen.
Gleichzeitig ist die westliche Mittelmeerroute jedoch stärker frequentiert.

Die Flüchtlingszahlen der östlichen Mittelmeerroute sind 2019 im Vergleich zu 2015 um 90% gesunken.
Frontex registrierte 2019 an den Außengrenzen insgesamt 139.000 rechtswidrige Grenzübertritte, so wenig wie seit 2013 nicht mehr.
Die Zahl der Migrierenden, die über die Türkei in die EU gelangen, ist 2019 mit 23% stark gestiegen.

Im Zuge der COVID-19-Pandemie waren Aktivist*innen weitgehend gezwungen, ihre Operationen zur Seenotrettung einzustellen, und viele Grenzen wurden geschlossen. Entsprechend sank der Anteil der Migrierenden, die sich Zutritt zu europäischen Inseln oder dem Festland verschaffen konnten, um 13% im Vergleich zum Vorjahr.
Ende Februar hatte Ankara mit dem Versprechen offener Grenzen zu Griechenland und damit zur EU mehr als 20.000 Flüchtende angelockt. Einen Monat lang versuchten sie wieder und wieder, den Grenzfluss Evros zu überqueren, oft unterstützt von der türkischen Armee. Aber Griechenland hielt seine Landesgrenze dicht.
Die Migration über die westliche Balkanroute wuchs um 78% an.
NEUE FLUCHT- UND
MIGRATIONSROUTEN–
MIT DEM FLUGZEUG
Durch die Versperrung der „klassischen Routen“ sehen sich Flüchtende vor der Herausforderung, neue Wege zu erschließen.
Beispielsweise fliehen viele Eritreer*innen gegenwärtig über Umwege mit dem Flugzeug nach Südamerika – das Endziel ist oftmals Nordamerika.
Als Alternative zur Mittelmeerroute nutzen 2020 immer mehr Menschen den Weg über den Atlantik, um auf den Kanarischen Inseln europäischen Boden zu erreichen.
Die Kosten können sich auf bis zu 30.000 USD belaufen.
HINDERNISSE UND
GEFAHREN AUF DER FLUCHT
GEOGRAFISCHE HINDERNISSE
Natürliche Hindernisse wie etwa das Mittelmeer, Wüsten und Gebirgszüge stellen eine große Herausforderung für die Flüchtenden dar.
Schätzungen gehen davon aus, dass die Dunkelziffer der in der Sahara Gestorbenen weitaus höher liegt als bei der Überquerung des Mittelmeeres.
Hinzu kommt der Bedarf an ausreichender Versorgung mit Nahrungsmitteln, Kleidung und Medikamenten.



SCHLEPPERWESEN UND
GRENZÜBERQUERUNGEN
Flüchtende sind oft bei ihrer Flucht auf die logistische Hilfe von Schleppern und Schleusern angewiesen.
Die gefahrlose Überquerung von See- und Landgrenzen ist ein zunehmend schwieriger werdendes Unterfangen, da diese verstärkt gesichert und kontrolliert werden.